USER STORY / JOURNEY
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Ein MOOC, wie jeder andere Web-Service, lässt sich als „Reise“ betrachten. Verschiedene User begeben sich auf einen Trip, indem sie sich auf diese Umgebung einlassen. Klick für Klick, aber auch in vielen kleinen gedanklichen und emotionalen Schritten“. Die Umgebung so einzurichten, dass diese Reise für die User erfolgreich und befriedigend verläuft, ist Aufgabe des „User Experience Design“ (UX). Tatsächlich wurde auch bereits der Schritt unternommen, das auf „Learner Experience Design“ zu übertragen (siehe hier). Im folgenden adaptiere ich versuchsweise dieses konkrete Modell aus der UX-Praxis für einen MOOC.
UX ist ein Begriff aus dem Webdesign, und nicht zufällig: Ein MOOC ist ja zuerst und zuletzt eine Webseite! Und ein/e MOOC-Lerner/in ist jemand, der/die wiederholt auf einen Bildschirm starrt! Das „Medium“ ist nur eine vermittelnde Instanz, es steht vielmehr von Anfang an im Zentrum.
Wenn man einen MOOC (oder eine andere komplexe Web-Service) entwirft, sollte man also die typischen „Stationen“ einer solchen Reise aus der Sicht der User zu verstehen versuchen. Eine solche Rekonstruktion sollte man immer in Ich-Form schreiben! Wir müssen unbedingt vermeiden, dass wir aus unserer Sicht, also aus der Sicht der Instruktoren, designen. Und das ist schwer, weil man automatisch immer wieder in diese Position zurückrutscht.
Diese Rekonstruktion hier ist typisiert: In Wahrheit gibt es verschiedene User-Typen, mit mehr oder weniger guten Voraussetzungen, Vorkenntnissen und Motivationslagen. Aber alle durchlaufen die Phasen, die im folgenden einmal versuchsweise unterschieden werden:
[A] Phasen der „User-Reise“:
(1) Ich entdecke den MOOC (wie genau?), schau mir das an, finde es interessant, überlege ob ich mitmachen will. Was sind meine mitgebrachten Empfindungen, Eindrücke und Überlegungen, die der MOOC anspricht? (Das ist bei verschiedenen Usern verschieden.)
(2) Ich melde mich an. Ich forme eine (meist sehr vage) Erwartung: ein Bild von mir im MOOC: was ich machen weder, wie intensiv, warum es toll sein wird. Vielleicht habe ich auch schon etwas Zweifel: Werde ich durchhalten? („Mal sehen.“) Ich versuche mich vorab zu orientieren.
(3) Der MOOC startet. Es gibt einen Startschuß, es gibt Impulse. Ich muss mich zurechtfinden, ich bin enthusiastisch (Jedem Anfang wohnt ein zauber inne.), aber auch unterschwellig desorientiert und leicht überfordert. Was passiert da gleichzeitig? Der formale Kurs, die Community? Wie sortiere ich das für mich? Was kann ich selbst machen, wie kann ich das für mich irgendwie aneignen? Ich probiere herum, teste Objekte aus und breche sie ab, bis es sich „richtig“ anfühlt. Ich bin sehr empfänglich für motivierende Peer-Aktivitäten draußen und für Feedback.
(4) Mitmachen: In irgendeiner Form muss ich möglichst früh ein kleines Stückchen meines Herzens in diesen MOOC hineintun. Das erste: Mein Name, mein Profilbild. Das zweite: Ein Kommentar/Frage, die ich mit Namen zeichne. Oder/und ich erhebe einmal meine Social Media-Stimme. Das dritte: Etwas von mir Produziertes: etwa ein Scribble mit meinem Lösungsversuch, in meiner Handschrift (das ist sehr persönlich). Oder ein getippter inhaltlicher Beitrag (das ist abstrakter).
(5) Die erste Wiederholung. Es geht ja jede Woche von Neuem los. Der Neuheitseffekt wird schwächer (im Positiven wie im Negativen). Ich versuche, eine Art der Beteiligung zu finden, die in meinen anderen Wochenablauf passt und mir positive Impulse gibt. Es gibt auch erste Frustrationen (keine Zeit, ich war nicht diszipliniert/hartnäckig, irgendwas am MOOC nervt mich …). Wie komme ich dazu, weiterzumachen?
(6) Ich absolviere mein erste, kompakte „Lerneinheit“: Also eine Kette von kleineren Lernerfahrungen, die sich für mich zu einer sinnvollen Einheit zusammenschließen. Typischer Weise innerhalb einer Woche. Vermutlich ist das erst die zweite oder sogar dritte Lerneinheit von allen. Was hat funktioniert? Welche Typen von solchen Einheiten gibt es? Ich kann ja eine oberflächliche Einheit,eine Mitmacher-Einheit oder eine „harte“ Aktivisten-Einheit erlebt haben.
(7) Ich wiederhole (wieder und wieder) die kompakte Lerneinheit. Das verstärkt einerseits meine Motivation („es läuft“). Wie kann ich das in eine „Routine“ übersetzen, die mir künftig hilft, ohne großen Aufwand immer neu gleich hineinzufinden? Positiv: Meine Erfahrung, dass etwas „wächst“. Idealer Weise etwas greifbares: Meine Notizen (analog oder digital), der „Stapel“ der abgearbeiteten Übungen, die Zahl meiner Bookmarks … Andererseits rücken die störenden und irritierenden Faktoren in den Vordergrund: selbst verantwortete und dem MOOC zugeschriebene. Ich sammle weitere kleine Frustrationserlebnisse. Wie verarbeite ich die? Auf welchen Ebenen liegen die?
(8) Community-Erlebnis: Ich habe eine soziale Geschichte in diesem MOOC. Es gab Impulse, Interaktionen. Ich entwickle eine Identität. Das ist positiv: Ich bin jetzt auch durch meine Peers gebunden. Das kann auch erschwerend sein: Andere besetzen den sozialen Raum, ich finde keinen rechten Platz für mich und meinen Standpunkt. Ich muss die richtigen Leute und die richtige Ebene der Interaktion finden.
(9) Unterbrechung: Die Wiederholungen sind gelungen, ich bin noch dabei. Ich bin „sozial integriert“ auf der Ebene, die für mich passt. Aber jetzt wird die Zeit lang. Es kommt etwas dazwischen. Ich setze eine Woche aus oder tue eine Zeitlang weniger. Wie finde ich von neuem hinein? Muss ich das aufholen? Wenn nicht, warum nicht? Und wenn ja, wie mache ich das?
(10) Zwischenabschluss: Idealer Weise gibt es eine greifbar nahe Stufe, wo ich eine in sich geschlossene Etappe erfolgreich abgeschlossen habe. Jetzt entscheide ich mich zur nächsten Etappe.
(11) Abschluss: Am Ende darf nicht alles versanden, bis man sich durchs Ziel schleppt. Es muss nochmals einen Abschluss-Schwung geben, der es uns erlaubt, gemeinsam mit Befriedigung das Ende zu erleben.
Wenn die „Reise“ vollständig und erfolgreich abgeschlossen ist, sind alle diese Stationen durchlaufen worden, auch wenn für verschiedene Usertypen dann verschiedene Aspekte unterschiedlich wichtig waren.
In jeder dieser Phasen gibt es nun wieder, wenn man sie genau betrachtet, eine Verkettung von Aktionen und Erfahrungen mit der Webseite. Die Reise funktioniert in der Regel nicht „von selbst“. Auf jeder Stufe brauche ich Unterstützung, auf jeder Ebene muss es auch Faktoren geben, die mich stützen und schieben. Das ist auch in der wirklichen Welt so! Im MOOC können diese Faktoren sowohl aus der virtuellen Umgebung kommen als auch aus der „wirklichen Welt“. Sie können von außen kommen oder von innen. Und das kann bei jeder Stufe wieder anders gemischt sein.
Wichtig: Aufgabe des Design ist weniger, die Leute mit aktiven „Hilfestellungen“ über die Hürden zu tragen, als ihnen möglichst viele Hindernisse aus dem Weg zu räumen und ihnen passende Möglichkeiten und Werkzeuge zu geben. Um das richtig einzurichten (= Design), muss man sich klarmachen, wo die neuralgischen Punkte sein werden: Wo reichen die Ressourcen der User am wenigsten aus?
[B] Entscheidende Punkte in jeder Phase
Für jede Phase kann man ein Modell von verketteten Erfahrungen und Interaktionen annehmen (Blick auf den Screen; (Re-)Aktionen, die sich irgendwie niederschlagen. Dabei gibt es Punkte, an denen sich entscheidet, ob und wie es weitergeht: A führt zu B (oder C, oder zurück zu A) … oder zum Abbruch.
Diese Phasen-Modelle sind Grundlage des konkreten Design im weiteren Sinn: Dazu gehören nicht nur Grafische Anordnung, Beschriftungen, Links zeigen oder nicht usw., sondern auch zur Verfügung gestellte Tutorials oder Community Management-Aktionen.
[C] Fragen der User (zu jedem Punkt der Phase bzw. auch zu jeder Phase insgesamt)
Hier (wie oben unter [A] schon z.T. angedeutet) die unterschwlligen Fragen der User aussprechen und hinschreiben. Was sie laut denken würden, wenn sie selbst wahrnehmen würden, was und warum sie gerade (nicht) tun. Wenn diese Fragen sich im Design wiederspiegeln, geht es leichter weiter.